Seit einiger Zeit tummeln sich auf dem deutschen Medienmarkt innovative, feministische Magazine und Formate. Sie verändern den Medienmarkt zum Positiven. Dass guter Journalismus nicht mehr ohne sie auskommt, hat auch der Spiegel-Fall kurz vor Weihnachten 2019 deutlich gezeigt.
Wenn man ein paar Jahre im Ausland gelebt hat, hat man das Gefühl, eine Menge verpasst zu haben. Zum Beispiel bezüglich Technik: CDs hört niemand mehr, es wird nur noch über Handy gestreamt, sagt die Media-Markt-Mitarbeiterin zu mir. Ich schaue nachdenklich und werde ein bisschen traurig – die vielen schönen, alten CDs, die ich gerade erst aus meinen Umzugskisten rausgefischt habe, was mache ich jetzt mit ihnen? Als ich noch einmal meinen Blick über die Ladenregale schweifen lasse, sehe ich ganz viele Schallplattenspieler. Vinyl ist doch Vintage und sie nehmen auch Platz weg, aber – die sind doch super! Vielleicht hat die Frau doch nicht recht und auch CDs werden irgendwann wieder en vogue sein… in altmodischen Musikanlagen oder coolen Ghettoblastern, who knows.
Feministische Formate
Etwas, das sich aber tatsächlich in Deutschland grundlegend geändert hat – und hier wird es kein aufgezäumtes Vintage und kein Zurück in die guten, alten Zeiten mehr geben – ist der feministische Journalismus. Seine Blüten sind noch jung. Aber sie mausern sich schon zu ausgewachsenen Blumenköpfen in diesem Land. Ja, ihr habt richtig gelesen. Es rappelt in der medialen-feministischen Kiste! Und an dieser Stelle möchte ich ein paar Formate nennen, ohne die wir nicht mehr wollen und können.
Frei und unabhängig
Missy Magazine: Nicht mehr knospig, sondern absolut ausgereift und 10-jährig ist das mittlerweile legendäre Missy Magazine. Das Magazin für Pop, Politik und Feminismus mit Redaktion in Berlin-Mitte ist, glaube ich, das beste, was allen aufgeweckten Männern und Frauen hier je passieren konnte. Die Missy, wie ich sie auch gerne im Kurzjargon nenne, schafft es auf einzigartige Weise, partizipativ, LGBT-gerecht, sozial und journalistisch hochwertige und relevante Reportagen, Kommentare, Bildstrecken, Grafiken und Themen so aufzubereiten, dass jedes Heft immer ein absolutes Geschenk ist. Die Ursprungsredaktion hat sich mittlerweile geändert und erneuert; ein Zeichen, dass die Leute dort sich selbst hinterfragen, reflektieren und stets wach bleiben. Missy hat keine Angst vor Sex, Dreck oder Provokation – das ist ungemein mutig. Dafür zahlt das Blatt den Preis der Unabhängigkeit. Bis heute gibt es niemand Reichen in Deutschland, sprich Mäzen, der die Missy im Hintergrund finanziell so unterstützt, dass sie von ihren Macherinnen profitabel und sorgenfrei umgesetzt werden könnte. Ein Grund mehr, dieses tolle, so freie Magazin mit einem Abonnement zu unterstützen – oder?
Nie dogmatisch
Edition F: Über Edition F stolperte ich das erste Mal auf Facebook. Denn dort wurden immer wieder gute Artikel von dem Onlinemagazin durch die Crowd geteilt. So lernte ich, dass es seit 2014 ein digitales Magazin von „Frauen und ihren Freunden“ gibt. Mit einer Chefredakteurin, die unaufgeregt weißen, alten Politik-Alphas zum Beispiel (und anderen) völlig gewaltfrei erklärt, warum Sexismus niemandem hilft, sondern uns allen schadet. Edition F ist nie dogmatisch oder erhebt den Zeigefinger moralisch. Hier kann ich mich als normale*r Leser*in widerspiegeln, mit meinen Gefühlen, Interessen und meinem Blickwinkel aus Frauensicht, der für Männer genauso wichtig ist. Die große Stärke des Online-Magazins ist, dass hier auch die Community schreibt und somit Wissen teilt. Und dass Theresa Bücker, die Chefin, positiv-führend in der #metoo-Debatte hervorstach. Mit Fakten und ruhiger Argumentation in einer Diskussion, die längst überfällig war und die noch lange nicht durch ist.
Aus aller Welt
Deine Korrespondentin: Dem Netzwerk von Auslandskorrespondentinnen hatte ich vor einem Jahr hier meinen ersten Artikel gewidmet. Das ist absolut verdient, denn Deine Korrespondentin hat etwas Revolutionäres getan: Pauline Tillmann, die Gründerin, hat die erste Plattform für deutschsprachige Journalistinnen aufgesetzt, auf der wir wirklich gute Texte zu guten Themen aus der ganzen Welt finden können. Aus erster Hand recherchiert von Expertinnen u.a. in Afghanistan, Peru, Israel oder Kasachstan, die die Landessprachen beherrschen, das journalistische Handwerk meisterlich verstehen und bewusst als Frauen Geschichten über andere Frauen machen. Außerdem gibt es einen Newsletter mit Infos und Links sowie aktuelle Podcasts. Pauline selbst sagt, dass sie immer noch kämpft. Denn auch Deine Korrespondentin verfügt über keine dicke Brieftasche. Die Plattform finanziert sich rein über Spenden sowie Veröffentlichungen in der Frankfurter Rundschau und auf Edition F. Pauline ist hochversiert und beteiligt sich aktiv an Konferenzen zu journalistischer Zukunft und Gründungen – auch mit Baby Amrai auf dem Podium. Das Team mit derzeit 10 Korrespondentinnen geht transparent und authentisch mit ihrem Media Lab um und lässt uns daran teilhaben. Wenn ihr Deine Korrespondentin unterstützen wollt, weil ihr auf guten Auslandsjournalismus steht, dann könnt ihr das hier tun.
Echter Qualitätsjournalismus
Was ist nun so aufregend an feministischem Journalismus? Nun, er bedeutet eine notwendige Entwicklung für die Online- und Printlandschaft. Denn er wird vor allem zwei spezifische Gruppen beeinflussen: an allererster Stelle uns – die Frauen! Endlich kommen so Role-Models für uns auf den Markt, die wir Kommunikationsfrauen nie hatten. In meiner gesammelten Berufsvita zähle ich bis heute nur eine einzige Frau als Chefin, aber 8 Männer als Chefs. Da ist es großartig zu sehen, dass Frauen Führung ergreifen und eigene Formate im Journalismus definieren, die Männer nie benötigten, weil sie als Privilegierte immer schon von dem System profitiert haben. Und es ist aufregend auch für sie: die männlichen Alphas. Denn an gleichberechtigter, gendersensibler Information und Informationsbeschaffung kommt Qualitätsjournalismus nicht mehr vorbei, wenn er glaubwürdig und professionell gemacht sein will.
Hans und Grete
Der so genannnte Qualitätsjournalismus wurde Jahrzehntelang von ihnen, den Herren am Kopf des Konferenztisches, den Alphas, gestaltet. Noch arbeiten diese in Vollzeit und definieren sich vor allem über ihre Jobs. Unvergessen für alle Journalistenschüler*innen bleibt in diesem Zusammenhang der sogenannte Küchenzuruf von Henry Nannen, dem langjährigen Stern-Chefredakteur. In seinem Beispiel für eine gelungene journalistische Kernbotschaft, die seine – vornehmlich männliche – Redaktion umsetzen sollte, ließ Nannen einen „Hans“ im „Esszimmer“ den Stern lesen, während „Frau Grete“ in der Küche „sich die Schürze umbindet, um sich für den Abwasch vorzubereiten“. Nach „beendigter Lektüre“ ruft Hans seiner Grete in die Küche zu: „Mensch Grete, die in Bonn spinnen komplett! Die wollen schon wieder die Steuern erhöhen!“
Männliche Federn, weibliche Federn
Ich hätte in meiner Ausbildung zur Redakteurin, die ich von 2005 bis 2007 gemacht habe, gerne ein anderes Beispiel vorgelebt bekommen. Frei von einem festgezurrten Rollenbild, das mich in eine Küche als Vollzeit-Hausfrau zwängte, aber sicher nicht als ambitionierte Nachwuchsjournalistin am Newsdesk sitzen sah. Ich hätte tief getroffen sein können damals von diesem schlechten Beispiel einer männlichen Arbeitswelt, in der ich gar nicht existierte. Aber es war normal: Männer wollten Journalisten werden, wir Frauen wollten es auch. Doch unser Weg war unsicherer. Wir waren zwar physisch da, aber wir saßen nicht in den Machtpositionen. Dort, wo die Entscheidungen getroffen werden. Damit mussten wir leben. Eigentlich brutal.
Unter sich
Viele Jahrzehnte ging das ziemlich gut. Die Alphas klopften sich gegenseitig auf die Schultern und bestätigten sich: „Wow, geht doch, Jungs!“ Frauen assistierten. Geschichten waren männlich gestrickt, sie enthielten vor allem männliche Protagonisten und sie entstanden aus der männlichen Feder heraus.
Es ging gemütlich zu
Mittlerweile liegt der Anteil von Volontärinnen in Redakteursausbildungen bei über 50 Prozent. Der Anteil festangestellter und freier Journalistinnen in Deutschland geht an die 60 Prozent. Der Verein ProQuote Medien, der sich für eine 50-prozentige Machtverteilung für Frauen in Führungspositionen bei Rundfunk, Fernsehen sowie Tages- und Wochenzeitungen einsetzt, hat kürzlich eine erste Studie herausgegeben. Demnach ist Deutschland noch immer Entwicklungsland wenn es um die Gleichstellung von Frauen und Männern im Medienbereich geht. Denn Zahlen und Fakten sprechen für sich: Von 360 Zeitungen in unserem Land, werden nur 3(!) von Frauen geleitet. Und das in einem Fach, das sich als Hüter der Demokratie begreift.
Causa Claas Relotius
Und was war da eigentlich Weihnachten los? Mann, Mann! Derzeit ist es still geworden um Claas Relotius. Kurz vor Heiligabend aber hatte der junge, charismatische und preisgekrönte Reporter das gesamte Spiegel-Imperium zum Beben gebracht, weil er nachweislich Reportagen ausgeschmückt und gefälscht hatte. Interessant bei der Sache war aber nicht das alleine, sondern wie die Spiegel-Redakteure damit umgingen. Der Journalist Juan Moreno musste Schwerstarbeit leisten, um seine Spiegel-Chefs davon zu überzeugen, dass sein Kollege Relotius Mist gebaut hatte. Moreno hat das selbst beschrieben, sowohl in der Printausgabe des Spiegel als auch in einem Video. Wie konnte es passieren, dass ein junger Mann eine so glänzende Karriere auf Basis von Schein und Betrug machen konnte? Das ist nur möglich, weil ihn ein Netzwerk stützte, das an ihn glaubte und ihn intensiv förderte. Studien zeigen: Männer fördern Männer – alte Männer fördern gerne junge Männer. Sie sehen sie in den zukünftigen Positionen sitzen, in denen sie selbst längst sind.
Ein langer Weg
Es ist Zeit. Time is up für Alphas. Sie ist da für guten, echten, puren Journalismus. Von Frauen. Für Frauen. Und für alle anderen, die wollen und den langen Weg mit uns mitgehen.