Hamburg

Am Tisch der Macht

Das MARKK – Museum am Rothenbaum. Kulturen und Künste der Welt in Hamburg zeigt die Ausstellungen „Hey Hamburg, kennst Du Duala Manga Bell?“ sowie „Benin. Geraubte Geschichte“. Beide thematisieren Kolonialisierung und Rassismus. Und lassen dennoch viele Fragen unbeantwortet.

Am 9. Mai 1914 landet ein Telegramm in Berlin, das an den Kolonialstaatssekretär Wilhelm Heinrich Solf höchstpersönlich adressiert ist. Sein Text lautet: „Kolonialstaatssekretär Solf, die Aktionen von Rudolf Duala Manga Bell und Adolf Ngoso Din sind viel weitreichender als erwartet. Wir wurden informiert, dass sie beabsichtigen, die Duala zur Revolte gegen uns aufzuhetzen. Sie haben vor, die Franzosen und Briten um Hilfe zu bitten. Handeln Sie schnell! Handeln Sie jetzt!
Anonymus.“
Drei Monate später, am 8. August 1914, sind Rudolf Duala Manga Bell und Adolf Ngoso Din tot. Erhängt durch den Strick, im Auftrag der deutschen Kolonialherren in Kamerun.

Mutiger Stratege

Das Kapitel ist eines von vielen in der Kolonialgeschichte des damaligen Deutschen Reiches. Und dennoch ein besonderes. Denn der Widerstand der Duala in Kamerun, die ihr König Rudolf Manga Bell gegen die deutschen Besatzungsmächte vor dem 1. Weltkrieg anführt, nutzte alle Instrumente moderner Kommunikation, um auf das Unrecht der Landnahme durch die Deutschen aufmerksam zu machen. Rudolf Manga Bell, der fließend Deutsch sprach und bestens vernetzt war in Politik und Medien, machte weitreichend auf das seinem Volk angetane Unrecht aufmerksam. Er nutze alle juristischen Möglichkeiten – u.a. Petitionen und die Verteidigung durch die Anwälte Rosa Luxemburgs. Er erzielte Teilerfolge und die Deutschen bekamen Angst vor dem Mut dieses smarten Strategen, mit dem sie nicht gerechnet hatten. Und musste schließlich doch sterben.

Kunstinstallation von Laurel Chokoago

Teilhabe und Macht

In Form der Graphic Novel „Die Vergangenheit ist ein Weg“ des nigerianischen Künstlers Karo Akpokiere können Museumsbesucher*innen des MARKK jetzt genau diesem Weg von Rudolf Duala Manga Bell folgen. Diese ist experimentell gestaltet: Archivbestände, Fotos, Leihgaben sowie Kunstinstallationen junger afrodeutscher Studierender setzen einzelne Mosaiksteine des Weges in die koloniale Vergangenheit Deutsch-Kameruns zusammen. Sie bringen Licht in das historische Dunkel und zeigen die schmerzvollen Überschneidungen beider Länder, aber auch inspirierende Zukunftsideen. Bemerkenswert ist zum Beispiel der Stuhl aus fließendem Hartplastik mit dem durchgestrichenem Titel „A seat at the table“ der kongolesisch-kamerunischen Künstlerin Laurel Chokoago. Sie symbolisiert damit die Sehnsucht des ausgegrenzten Menschen, am Tisch der Machthaber ebenfalls platznehmen zu können. Der Stuhl als Ort für Teilhabe und Macht; beides Begriffe, die der in den Kolonien lebenden Bevölkerung verwehrt wurde und speziell auch heute „mixed persons“ – als die sich Chokoago selbst bezeichnet – immer noch betrifft.

Restitution als Schritt nach vorn

Im 1. Stockwerk des imposanten MARKK, das bis vor Kurzem noch „Museum für Völkerkunde“ hieß, ist derzeit noch bis Jahresende eine beeindruckende Sammlung geraubter Kunst aus dem damaligen Benin, einem Teil des heutigen Nigeria, zu sehen. Die Exponate, die auf teils unbekanntem Wege nach Hamburg gelangten, enthalten kostbare Büsten, Köpfe, Schnitzarbeiten und Tierskulpturen der damaligen Königspaläste. Alle Stücke wurden während der britischen Kolonialzeit geraubt, veräußert und illegal in die Hände deutscher Ethnologen übergeben. Schwarz-Weiß-Fotografien zeigen teils skurille Szenen von überfüllten Marktständen und sich türmenden Exponaten in Museums-Archiven mit europäischen Vertretern. Die Stadt Hamburg wird sie ab Januar 2021 an Nigeria zurückgeben und ist dazu mit der nigerianischen Regierung und zahlreichen Partnern im Gespräch. Die Restitutionsdebatte ist damit auch in Hamburg, der reichen und großzügigen Hansestadt an der Elbe, angekommen. Denn gerade hier entstand durch die Reedereien und Kaufleute ein reges, lukratives Geschäft mit den neuen Kolonien, die den „Platz an der Sonne“ – so das damalige Motto – für das Deutsche Reich sichern sollten.

Benin-Büsten auf einem Marktstand mit einem jungen Händler, vermutlich 1902. Foto: Liva Haensel/MARKK

Rassismus in allen Wissenschaften

Die Umbenennung des ehemaligen Völkerkundemuseums durch die neue Leiterin, das ein Jahrhundert lang vor allem Raubkunst datierte und ausstellte aber – wie so viele andere Museen – keinen Kontext zu ihrer Herkunftskultur und menschlichen Schicksalen herstellte, ist ein wichtiger Schritt. Woher stammen die Exponate? Wie gelangten sie nach Deutschland und wie kommen sie rechtmäßig zurück in die Hände ihrer Urheber*innen? Diese zentralen Fragen stellen nicht nur die Ethnologie auf den Kopf, sondern jede wissenschaftliche Disziplin heutzutage. Denn rassistische Denk- und Handlungsmuster ziehen sich bis heute durch alle Geistes- und Naturwissenschaften. Das Humboldt-Forum im wiederaufgebauten Berliner Schloss ist noch am Anfang dieser Debatte. Im MARKK machen jetzt Zusätze zu Exponaten weiterer Ausstellungen darauf aufmerksam, dass Herkunft und Ursprung vieler Objekte noch unbekannt sind und es gilt, diese Lücken jetzt zu füllen. Vielleicht ist es auch eine Idee, Menschen migrantischer Herkunft sowie aus Ländern ehemaliger Kolonien zu fragen, wie sie dies beurteilen, wie sie fühlen und was sie sich wünschen. Vielleicht ist es an uns weißen Deutschen, sie nun zu fragen, ob wir an ihrem Tisch Platz nehmen dürfen.

Information
Die Rückgabe der benin-Sammlung des MARKK wird seit April 2021 schrittweise umgesetzt. Sie wird an benin-City in Nigeria übergeben. Das KUnstzentrum befASST Sich mit dem Verlust seines kuturellen Erbes.
Die digitale Wissens-Plattform „Digital benin“ dokumentiert jedes Exponat und erstellt zudem neue Forschungserkenntnisse. Sie geht Ende 2022 online: www.digitalbenin.org

Am Tisch der Macht Read More »

Wie nachhaltig ist Hamburg?

Hamburger Ratschlag
Die UN-Agenda 2030 betrifft auch Städte und Gemeinden weltweit. Bei der Versammlung Hamburger Ratschlag treffen sich deshalb zivilgesellschaftliche Akteure zweimal pro Jahr mit Hamburger Politikern, um das Thema Nachhaltigkeit unter die Lupe zu nehmen.

Hamburg – Dass Nachhaltigkeit nicht nur ein weltumspannendes Thema ist, sondern auch direkt vor der Haustür stattfindet, zeigte der sogenannte „Hamburger Ratschlag“ am vergangenen Freitag. Im Bürgersaal Wandsbek trafen sich Vertreter von 16 Nichtregierungsorganisationen zu der mittlerweile 4. Podiumsplattform und erarbeiteten konkrete Vorschläge für ein nachhaltiges und gerechtes Hamburg. Die Schwerpunkte der Arbeitsgruppen lagen dieses Mal auf Umwelt, Stadtentwicklung und Mobilität. Die Vorschläge werden anschließend dem Hamburger Senat in Form eines Berichts mit Forderungen überreicht.

Agenda 2030

Der Hamburger Ratschlag findet zweimal im Jahr statt und basiert auf der Umsetzung der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Diese wurden 2015 von allen unterzeichnenden Mitgliedsstaaten verabschiedet und schließen Entwicklungs- und Schwellen- wie auch Industrieländer gleichermaßen mit ein. Der unter dem Begriff  „Agenda 2030“ bekannte Fahrplan konzentriert sich dabei auf fünf Leitprinzipien: Mensch, Planet, Wohlstand, Frieden und Partnerschaft. Alle fünf hängen unwiderruflich miteinander zusammen und orientieren sich stets an der Frage: Wie wollen wir leben? Dabei ist jeder einzelne Mensch gefragt, sich in seiner Stadt, Gemeinde oder Kommune zu engagieren.

Sustainable Development Goals_icons-15

Ökologische Landwirtschaft

Bei der Ausarbeitung für die SDGs – die Sustainable Developement Goals – waren weltweit Akteure der Zivilgesellschaft maßgeblich beteiligt. „Was viele nicht wissen, ist, dass die SDGs eben nicht nur die Entwicklungspolitik betreffen, sondern jedes einzelne Politikfeld selbst“, stellte Jens Martens, Leiter des Global Policy Forums Europe e.V., auf dem Hamburger Ratschlag, heraus. In seiner Einführung ging es vor allem um die Frage, inwieweit sich Kommunen, Städte und Gemeinden für die Umsetzung der Agenda starkmachen könnten. Dabei zeigte Martens Beispiele von Saarbrücken und Thüringen auf, die die Nachhaltigskeitsziele bereits als Querschnitts-Themen in jedem Politikbereich verankert haben. In den Arbeitsgruppen diskutierten die Teilnehmer:Innen deshalb konkret, was sich in Hamburg ändern soll. Unter anderem einigten sie sich auf die verstärkte Ausrichtung ökologischer Landwirtschaft durch eine 50%-Quote aller Neuverpachtungen in der Stadt ab 2020. Ökologische Landwirtschaft sei auf dem Vormarsch, aber „könne nicht von heute auf morgen umgesetzt werden“, merkte dabei ein Teilnehmer an. Doch hier müsste die Stadt mit ihren Vergaberichtlinien zu Grünflächen und Liegenschaften an den gesetzlichen Schrauben drehen. Auch Themen wie Wohnqualität, soziale Gerechtigkeit und Konsumverhalten wurden angestoßen. Insgesamt sei die Agenda 2030 aber noch sehr unbekannt und müsse stärker in das Bewusstsein von Politiker:Innen und normalen Bürger:Innen rücken, so der Tenor.

Ab jetzt Monitoring

Die Freie und Hansestadt Hamburg versteckt die Nachhaltigkeitsziele bisher hinter einem spröden Titel: Die Drucksache 21/9700 ist im Internet abrufbar, aber unter Hamburgern kaum bekannt. Dass auch die Hamburger Presse daran nicht viel ändere, stellten viele engagierte Vertreter der anwesenden Vereine am Freitag unisono fest. Um den Senat stärker in die Verantwortung zu nehmen, hat der Hamburger Ratschlag deshalb auch vor, Fortschritte oder Stillstand zu beobachten: „Wir müssen monitoren, was mit der Umsetzung weiter geschieht“, sagte Professorin Christa Randzio-Plath, Juristin und Vorsitzende des Marie-Schlei-Vereins, der neben dem Zukunftsrat Hamburg, dem Landesfrauenrat Hamburg und W3 – Werkstatt für Internationale Kultur und Politik zu der Plattform eingeladen hatte.

Nächster Ratschlag steht fest

Der nächste Hamburger Ratschlag findet voraussichtlich am 23. November 2018 statt, dann zu den Themen Wirtschaft und Menschenrechte. Teilnehmen können Vertreter:Innen von Nichtregierungsorganisationen sowie alle Interessierten.

Wie nachhaltig ist Hamburg? Read More »

Nach oben scrollen